KW 21Die Woche, in der Berlin aufhörte, Handys von Geduldeten zu hacken

Die 21. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 17 neue Texte mit insgesamt 101.793 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

Liebe Leser:innen,

Anfang dieser Woche hatte ich kurz richtig gute Laune. Am Montag erschien der aktuelle Jahresbericht der Berliner Datenschutzaufsicht und darin stand ein Satz, über den ich mich besonders gefreut habe: Die Berliner Ausländerbehörde wird die Handys von Geduldeten in Zukunft nicht mehr per Software durchsuchen.

Seit inzwischen vier Jahren recherchieren und berichten wir zur technischen Wühlaktion der Ausländerbehörde. Sie trifft vor allem Geduldete, die eigentlich das Land verlassen sollen, deren Staatsangehörigkeit aber nicht geklärt ist. Und in deren Geräten die Behörde sich umschauen möchte, um nach Hinweisen zu suchen.

Dass sie dabei im Zweifel auch Allerprivatestes zu sehen und hören bekommt, intime Fotos, Liebesbriefe, Nachrichten an die eigene Anwältin mitliest, nimmt die Behörde in Kauf – und auch das Aufenthaltsgesetz, das die Aktionen legal macht.

Selbst das Landeskriminalamt darf mithelfen. Denn das Knacken und Durchsuchen von Mobiltelefonen zählt nicht zum Kerngeschäft der Ausländerbehörden, wohl aber zu dem der Polizei bei Ermittlungen gegen mutmaßliche Straftäter:innen – die dafür freilich erst mal eine richterliche Anordnung braucht. Im Fall von Geduldeten ohne Ausweispapiere ist das deutsche Recht nicht so zimperlich.

Ein Rädchen außer Betrieb, Apparat läuft

Damit ist es jetzt vorbei, wie auch der Berliner Senat inzwischen bestätigt hat. Der Vertrag mit dem LKA ist gekündigt, die Durchsuchung per Software eingestellt. Der Aufwand stehe schlicht in keinem Verhältnis zum Erfolg. Auch in Hamburg – wo wir vor gerade einer Woche ebenfalls über die Handydurchsuchungen per Software berichteten – will die Datenschutzaufsicht die Sache überprüfen, das schreibt heute die taz. 

Das ist alles Grund zur Freude. Und gleichzeitig auch ein Anlass zur Ernüchterung. Denn eine einzige Ausländerbehörde hört jetzt damit auf, die Privatsphäre der Betroffenen auf diesem Weg zu verletzen – vielleicht auch aufgrund unserer Berichterstattung. Rund 500 andere in Deutschland können aber weitermachen – oder überhaupt auf die Idee kommen. Das Aufenthaltsgesetz erlaubt es ihnen explizit. Und das Gesetz gilt weiterhin. Auch das Bundesamt für Asyl darf weiterhin die Handys von Geflüchteten auslesen – oft noch bevor diese in einer Anhörung selbst Fragen zu ihrer Identität beantworten können. Und die Ampel-Regierung hat gerade erst bestätigt, dass sie keinerlei Interesse hat, daran etwas zu ändern.

Zugleich sind die Handydurchsuchungen selbst nur ein winziger Baustein, ein kleines Zahnrad in einem riesigen Apparat von Repressionen und Maßnahmen, deren Zweck alleine darin besteht, Menschen aus dem Land zu schieben oder sie gar nicht erst reinzulassen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat gerade erst gemeinsam mit den Länderchefs beschlossen, bei dieser Maschine noch einen Gang hochzuschalten. Die Abschiebehaft soll verlängert werden. Asylverfahren sollen gleich an den EU-Außengrenzen stattfinden. Asylsuchende sitzen heute schon über Monate oder Jahre in Sammelunterkünften fest, Kinder können nicht in die Schule.

Dass die Berliner Ausländerbehörde in dieser Lage damit aufhört, Geräte zu durchsuchen und Geduldete auch auf diesem Weg zu gängeln, darüber kann ich mich kurz freuen. Ein einzelnes Zahnrad wird an dieser Stelle stillgelegt. Den Apparat selbst wird das kaum bremsen.

Unsere Recherchen zu den Handydurchsuchungen werden wir trotzdem weiterführen. Wir sind schließlich schon lang genug dabei, um zu wissen, dass es für politische Veränderungen einen ziemlich langen Atem braucht. Und diesen Atem haben wir, auch dank eurer Unterstützung.

Auch deswegen gehe ich mit guter Laune ins Wochenende und wünsche euch, dass ihr die auch bekommt

Chris


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